Gesundheitswirtschaft Österreich – Ein Gesundheitssatellitenkonto (GSK) für Österreich

Projektleitung: Thomas Czypionka, Alexander Schnabl
Projektteam: Clemens Sigl, Julia-Rita Warmuth, Barbara Zucker, Brigitte Hochmuth, Julia Janke, Sarah Lappöhn, Alina Pohl
Laufzeit: 2013 – 2014
Finanzierung: Bundesministeriums für Wirtschaft, Familie und Jugend (BMWFJ) und Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ)



Primäres Ziel der Studie war die Verflechtungen des Bereichs Gesundheit, sowohl im Sinne des öffentlich finanzierten ersten Gesundheitsmarkts als auch des zweiten Gesundheitsmarkts, mit allen Sektoren bestmöglich abzubilden, um in weiterer Folge Aussagen über die ökonomischen Auswirkungen von Ausgaben und Investitionen in den Teilbereichen tätigen zu können. Darüber hinaus wurden auch Bewertungen wirtschafts- und gesundheitspolitischer Entscheidungen ermöglicht. Als Endresultat wurde ein Gesundheitssatellit erstellt, der als praktikables Instrument zur Berechnung von volkswirtschaftlichen Effekten im engeren oder erweiterten Gesundheitsbereich und seinen Teilmärkten herangezogen werden kann. Die Studie ist in Buchform erschienen.

Gesundheitssatellitenkonto für Österreich

In der öffentlichen Diskussion wurde bisher Gesundheit vorwiegend als „Kostenfaktor“ wahrgenommen, und auch in den Rechenwerken der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung gab es bislang kaum eine spezifische Erfassung und Zusammenstellung jener wirtschaftlichen Aktivitäten, die auf das Bedürfnis des Menschen nach Gesundheit zurückgehen. Aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen wird dieses jedoch zu einem immer bedeutenderen Wirtschaftsfaktor, und dieser Entwicklung will die erstmalige Erstellung eines Gesundheitssatellitenkontos für Österreich (ÖGSK) Rechnung tragen. Dieses stützt sich auf den Begriff der Gesundheitswirtschaft, die neben dem klassischen Kernbereich auch einen erweiterten Bereich umfasst, dessen Nachfrage ebenfalls wesentlich vom Bedürfnis nach Gesundheit getrieben ist, aber bisher kaum als solcher wahrgenommen wird. Diese Nachfrage nach Gesundheitsleistungen und -gütern macht die Gesundheitswirtschaft zu einem inhärenten Teil der Ökonomie mitsamt deren Produktivität, Verflechtung, Vorleistungsstruktur, Exportmöglichkeiten und Beschäftigten. Daraus ergeben sich bedeutende volkswirtschaftliche Potenziale. So eröffnet der technologische Wandel neue Behandlungsmöglichkeiten und kann damit als Wertschöpfungsfaktor gesehen werden. Der demographische Wandel erhöht den Bedarf an Gütern der Gesundheitswirtschaft und insbesondere das sich verändernde individuelle Gesundheitsverständnis in Verbindung mit steigendem Wohlstand kann einen bedeutsamen Einfluss auf die Nachfrage nach Gesundheitsgütern haben (Luxusgutcharakter).

Durch die Abbildung von Verflechtungen des Bereichs Gesundheit, im engeren und weiteren Sinne, können Aussagen über die ökonomischen Auswirkungen von Ausgaben und Investitionen in den Teilbereichen getätigt werden. Darüber hinaus werden auch Bewertungen wirtschafts- und gesundheitspolitischer Entscheidungen messbar. Nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über die zentralen Ergebnisse des ÖGSK 2008 (direkte Effekte).

Herangehensweise

Um dem Anspruch, die Gesundheitswirtschaft als Teil der gesamten Wirtschaft mit all ihren Verflechtungen darzustellen, gerecht zu werden, bedient sich die Studie der Input-Output-Methodik, die die gesamte Volkswirtschaft abbildet und so ein zentrales Rechenwerk für ökonomische Analysen darstellt. Innerhalb der bereits verfügbaren Input-Output-Tabellen ist die Gesundheitswirtschaft bisher nur unzureichend abgebildet worden. Das Satellitenkonto folgt dem Ziel, durch eine Extrahierung der relevanten Teilmärkte und Verdichtung dieser Information in einem „separaten“ Konto den gesundheitsrelevanten Wirtschaftsteil in eine praktikable Form zu gießen. Gleichzeitig bleibt der Satellit ein Teil der Input-Output-Tabelle, um die Verflechtungen mit der restlichen Wirtschaft weiterhin aufzeigen und analysieren zu können und die Auswirkungen von Effekten wie Nachfrageänderungen oder wirtschaftspolitischen Maßnahmen berechnen zu können.
Mit der Methodik der Input-Output-Analyse können die wechselseitig verknüpften Liefer- und Bezugsstrukturen der einzelnen Wirtschaftssektoren erfasst und quantifiziert werden. Weiters ermöglicht die Input-Output-Analyse die Berechnung direkter, indirekter und induzierter Wertschöpfungs- und Beschäftigungseffekte sowie der Effekte auf das gesamtwirtschaftliche Aufkommen an Steuern und Sozialversicherungsabgaben. Durch eine Regionalisierung des Gesundheitssatelliten können diese Effekte auch auf Bundesländerebene berechnet werden.
Das erarbeitete Gesundheitssatellitenkonto basiert aus Datenverfügbarkeitsgründen auf dem Jahr 2008. Zusätzlich wurden Prognosen für die nachfolgenden Jahre bis 2015 sowie eine Regionalisierung nach Bundesländern durchgeführt.

Abgrenzung der Gesundheitswirtschaft

Die Abgrenzung der Gesundheitswirtschaft für das ÖGSK folgt primär einer nachfrageseitigen, güterbezogenen Unterscheidung. Dieser gesundheitsrelevante Konsum führt zu Umsätzen und Beschäftigung bei Produzenten und Dienstleistern, welche somit direkt der Gesundheitswirtschaft zuzurechnen sind.
Der Kernbereich Gesundheitswirtschaft (KGW) umfasst Güter und Leistungen des Gesundheitswesens nach der Statistik der Gesundheitsausgaben gemäß dem System of Health Accounts. Dazu zählen beispielsweise stationäre bzw. ambulante Leistungen oder pharmazeutische Erzeugnisse und deren Vertrieb.
Die Erweiterte Gesundheitswirtschaft (EGW) entspricht gesundheitsrelevanten Gütern und Leistungen, die einer subjektiv gesundheitsbezogenen Kaufentscheidung unterliegen, welche nicht mit den Institutionen des Gesundheitswesens gemäß dem System of Health Accounts in Verbindung gebracht werden und entsprechen somit nicht im KGW enthaltenen gesundheitsrelevanten Produkten und Dienstleistungen.
Gesundheitsanteile bilden den zentralen Schlüssel für die einzelnen Elemente im Gesundheits-satellitenkonto. Dabei kommen auch Gesundheitskoeffizienten zur Anwendung, welche die subjektiv beigemessene gesundheitliche Wirkung bei der Kaufentscheidung widerspiegeln. Diese Informationen wurden durch Sichtung von Artikeln, Studien, offiziellen Datenquellen und Unternehmensberichten sowie Erhebungen und Anfragen bei Herstellern, Hochschulen, Innungen bzw. Interessensvertretungen generiert. Wesentliche Herausforderung ist die Verknüpfung der ermittelten Informationen mit den Makroaggregaten der VGR zur Implementierung in die Input-Output Rechnung. Für eine einfachere Handhabung der Ergebnisse, wurden in einer sekundären Abgrenzung Aggregate der diversen Güter und Dienstleistungen gebildet. Diese komprimierte Darstellung gliedert sich in sieben Aggregationsgruppen des Kernbereichs sowie fünf Aggregationsgruppen der erweiterten Gesundheitswirtschaft und ist aus Kompatibilitätsgründen dem deutschen Gesundheitssatellitenkonto entlehnt.

Ergebnisse

Die durch die Gesundheitswirtschaft generierte Bruttowertschöpfung lag 2008 in Österreich bei insgesamt EUR 41,6 Mrd., wovon rund EUR 26 Mrd. (62,5%) auf die direkten Effekte entfielen, EUR 9,5 Mrd. (22,9%) auf die indirekten und EUR 6,1 Mrd. (14,6%) auf die induzierten Effekte. Insgesamt sind die direkten Effekte anteilsmäßig am höchsten, sie machten 10,13% der österreichischen Wertschöpfung der Gesamtwirtschaft aus. Das bedeutet, dass rund jeder 10. Euro der österreichischen Wertschöpfung in der Gesundheitswirtschaft generiert wurde.
Durch die Gesundheitswirtschaft und ihre inter- und intrasektoralen Verflechtung zu anderen Wirtschaftsbereichen wurden insgesamt rund 806 Tsd. Arbeitsplätze in Personenjahren gesichert, was rund 638 Tsd. Arbeitsplätzen in Vollzeitäquivalenten entspricht (Gesamteffekt aus direkten, indirekten und induzierten Effekten). Jeder fünfte Beschäftigte ist damit in der Gesundheitswirtschaft oder den mit ihr verbundenen Wirtschaftsbereichen tätig, jeder siebte direkt in der Gesundheitswirtschaft tätig.
Die Arbeitsproduktivität des Jahres 2008 gemessen an der Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen liegt in der österreichischen Gesundheitswirtschaft mit rund EUR 46 Tsd. je Erwerbstätigen etwa ein Viertel unter der gesamtwirtschaftlichen Produktivität (EUR 60 Tsd. je Erwerbstätigen).
Die gesamten durch die Gesundheitswirtschaft generierten Steuern und Abgaben beliefen sich in Österreich auf insgesamt EUR 15 Mrd., wobei der Sozialversicherung mit rund EUR 8 Mrd. (53%) mehr als die Hälfte dieser Einnahmen zukam. Der Bund generierte EUR 4,9 Mrd. (32%), die Länder etwas mehr als EUR 1 Mrd. (7%) und die Gemeinden EUR 1,2 Mrd. (8%). Mehr als die Hälfte dieser Steuer- und Abgabeneffekte wurde durch direkte Effekte der Gesundheitswirtschaft erzielt.
Das Gros der Konsumausgaben zu Herstellungspreisen (private Haushalte; Staat; private Organisationen ohne Erwerbszweck) im Jahr 2008 wird mit EUR 25,44 Mrd. im Kernbereich der Gesundheitswirtschaft (KGW) getätigt. Demgegenüber entfielen EUR 7,03 Mrd. der Konsumausgaben auf den wachsenden Bereich der erweiterten Gesundheitswirtschaft (EGW). Die gesamte Endnachfrage in der Gesundheitswirtschaft (Konsum, Investitionen, Exporte) im Jahr 2008 betrug EUR 43,77 Mrd.
Exporte bzw. Importe der gesamten Gesundheitswirtschaft (Waren und Dienstleistungen) beliefen sich in Österreich im Jahr 2008 auf EUR 9,3 Mrd. bzw. EUR 8,9 Mrd. Für den Kernbereich der Gesundheitswirtschaft (KGW) betragen die Exporte rund EUR 5,8 Mrd. gegenüber EUR 5,6 Mrd. an Importen. Für die Erweiterte Gesundheitswirtschaft (EGW) betragen die Exporte EUR 3,5 Mrd. und die Importe EUR 3,3 Mrd.
Die Personalkosten tragen in der Gesundheitswirtschaft im KGW mit rund 70% und in der EGW mit rund 54%, mehr als die Hälfte – und damit den größten Anteil – zur Wertschöpfung bei.
Bezüglich der Wertschöpfung, des Bruttoproduktionswertes und der Beschäftigung liegen die österreichischen und deutschen Zahlen relativ betrachtet eng beieinander. Lediglich beim Export lassen sich größere Unterschiede feststellen. Die österreichische Gesundheitswirtschaft als Exportwirtschaft ist speziell im Kernbereich ausbaufähig. Der Beitrag der Gesundheitswirtschaft am gesamtösterreichischen Exportüberschuss (Waren und Dienstleistungen) beträgt 4,39%.
Das Wachstum der Erweiterten Gesundheitswirtschaft wird bis 2015 stark mit der Entwicklung der Gesamtwirtschaft korrelieren, und darüber liegen, dagegen verläuft die Entwicklung des Kernbereichs der Gesundheitswirtschaft weitgehend unabhängig von der Entwicklung der Gesamtwirtschaft. Die durchschnittliche jährliche reale Wachstumsrate der Bruttowertschöpfung des KGW liegt zwischen 2008 und 2015 bei 1,91%, die der EGW bei 2,44%. Die Wachstumsrate der Beschäftigten in Vollzeit äquivalenten liegt im gleichen Zeitraum bei 1,71% (KGW), bzw. 2,09% (EGW). Insgesamt wirkt sich der KGW stabilisierend auf die österreichische Wirtschaft und die Beschäftigung aus. Die EGW ist zwar konjunkturabhängiger, wächst aber schon derzeit deutlich schneller als das BIP. Das Wachstumspotenzial der österreichischen Gesundheitswirtschaft ist enorm, aufgrund wachsender Binnennachfrage, aber vor allem im Export. Es bestehen viele Voraussetzungen, um an internationalen Entwicklungen zu partizipieren. Einzelne Rahmenbedingungen, die den Standort schwächen, müssten dafür aber ausgeräumt werden.
Bei der Analyse der Bedeutung der Gesundheitswirtschaft für die einzelnen österreichischen Bundesländer werden drei Bereiche unterschieden: 1. Welche wirtschaftlichen Effekte hat die Gesundheitswirtschaft eines Bundeslandes auf die Gesamtwirtschaft desselben Bundeslandes; 2. Welche Effekte hat die Gesundheitswirtschaft eines Bundeslandes auf die österreichische Gesamtwirtschaft; und 3. Welche Effekte hat die österreichische Gesundheitswirtschaft auf die Wirtschaft eines Bundeslandes?
Als Beispiel kann hier die bedeutendste regionale Gesundheitswirtschaft dienen, die Gesundheitswirtschaft des Bundelandes Wien. Die Gesundheitswirtschaft in Wien bewirkt eine gesamte (direkt, indirekt und induziert) Bruttowertschöpfung von EUR 8,9 Mrd. auf die Wiener Wirtschaft, wovon 78% auf den KGW fallen. Die Wiener Gesundheitswirtschaft bewirkt im Bundesgebiet eine gesamte Bruttowertschöpfung von EUR 10,5 Mrd. Umgekehrt profitiert die Wiener Wirtschaft mit einer Bruttowertschöpfung von rund EUR 12 Mrd. von der gesamten österreichischen Gesundheitswirtschaft. Die entsprechenden Zahlen bei der Beschäftigung sind 160 Tsd. (Wirkung von Wiener Gesundheitswirtschaft auf die Wiener Wirtschaft), 187 Tsd. (Wiener Gesundheitswirtschaft auf die österreichische Wirtschaft und 201 Tsd. (österreichische Gesundheitswirtschaft auf die Wiener Wirtschaft).
Wien gemeinsam mit Niederösterreich sind damit die einzigen Bundesländer, die – gemessen an der Bruttowertschöpfung – mehr von der österreichischen Gesundheitswirtschaft profitieren, als umgekehrt die österreichische Wirtschaft von der regionalen Gesundheitswirtschaft (durch die wirtschaftlichen Verflechtungen fließt mehr „hinein“ als „heraus“).
Der Anteil der direkten, indirekten und induzierten Bruttowertschöpfung des KGW an der gesamten Bruttowertschöpfung der Gesundheitswirtschaft bewegt sich zwischen 59% in Tirol und 77% in Wien. Hier fällt insbesondere die hohe Bedeutung des Sporttourismus (Teil des EGW) in den westlichen Bundesländern stark ins Gewicht.

ÖGSK Wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen:

Hohe Beschäftigungsintensität in der Gesundheitswirtschaft:

    Jeder siebte Beschäftigte ist in der Gesundheitswirtschaft tätig.
    Jeder fünfte Beschäftigte ist in der Gesundheitswirtschaft oder den von ihr angestoßenen Wirtschaftsbereichen tätig

Hohe Wertschöpfungseffekte:

    10,13% der österreichischen Wertschöpfung entstehen direkt in der Gesundheitswirtschaft.
    Mit den Verflechtungseffekten werden sogar 16,22% der österreichischen Wertschöpfung direkt, indirekt oder induziert durch Nachfrage in der Gesundheitswirtschaft geschaffen

Bedeutende Abgabeneffekte:

    Jeder achte Abgabeneuro fällt durch die Gesundheitswirtschaft und ihre Verflechtungen an.

Schwerpunkt der Gesundheitswirtschaft auf Dienstleistungen:

    Über 5/6 der Bruttowertschöpfung der Gesundheitswirtschaft werden über Dienstleistungen generiert.

Die Gesundheitswirtschaft als Exportwirtschaft ist ausbaufähig:

    Der Beitrag der Gesundheitswirtschaft am Gesamtösterreichischen Exportüberschuss (Waren und Dienstleistungen) beträgt 4,39%.
Die österreichische Gesundheitswirtschaft ist ein sehr bedeutender Wirtschaftssektor, da diese über die wirtschaftlichen Verflechtungen Vorleistungen aus der heimischen Wirtschaft bezieht und solcherart sehr viele Menschen in Beschäftigung setzt, nämlich über 800.000.
Die erweiterte Gesundheitswirtschaft wächst stärker als der Durchschnitt der Gesamtwirtschaft und stellt damit einen Wachstumsmotor dar. Ihre Potenziale müssen aber noch entfaltet werden.
Der Kernbereich der Gesundheitswirtschaft wirkt stabilisierend auf die österreichische Volkswirtschaft.