Spotlight: Anna Dibiasi
Anna Dibiasi ist Hochschulforscherin am IHS und leitete kürzlich die erstmals durchgeführte Maturierendenbefragung.
Wie sieht dein Werdegang aus?
Ich habe zunächst Politikwissenschaft und Soziologie an der Universität Wien studiert und dann ein Masterstudium der Sozioökonomie an der WU Wien angeschlossen, weil es mich immer schon interessiert hat, Themen aus unterschiedlichen Disziplinen und Perspektiven zu betrachten. Während dem Studium habe ich dann als studentische Mitarbeiterin am IHS begonnen und bin jetzt seit 2014 als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe für Hochschulforschung tätig.
Welche Forschungsschwerpunkte hast du?
Die liegen insbesondere auf soziale Ungleichheiten und Schwierigkeiten beim Übergang Schule – Hochschule sowie in der ersten Studienphase an Hochschulen. Ich habe mich bereits von Beginn an als Hochschulforscherin am IHS mit diesen Themen beschäftigt, zum Beispiel im Rahmen von mehreren gesetzlich vorgesehenen Evaluierungen der Studieneingangs- und Orientierungsphasen oder von Zugangsbeschränkungen an Österreichs Universitäten.
Was interessiert dich daran besonders?
Die übergeordnete Fragestellung, mit welchen Problemen und Unsicherheiten der Übergang Schule – Hochschule verbunden ist und wie dieser Übergang besser gestaltet werden kann, um diese zu verringern. In der Bildungsforschung wird diese Schnittstelle seit längerem vielfach kritisiert. Bislang konnten wir diesen Übergang aber nur aus der Sicht von Studierenden retrospektiv erforschen. Dies war in mehrfacher Hinsicht unzufriedenstellend: Zum einen konnte damit nicht erfasst werden, was Hindernisse gegen eine Studienaufnahme oder Gründe für zwischenzeitig getätigte Studienabbrüche sind, da diese Gruppen nicht Teil der Befragungspopulation waren. Bei der Problemanalyse konnten wir damit nur die Spitze des Eisbergs erfassen, also jene, die gegebenenfalls trotz bestehender Schwierigkeiten im System „überlebt“ haben. Zum anderen kann es bei der retrospektiven Erfassung mittels Fragebogen auch zu Erinnerungsverzerrungen kommen. Weil das immer ein blinder Fleck in unserer Forschung war, haben wir schon lange appelliert, dass es eine Studie braucht, die diesen Übergang Schule – Hochschule aus Sicht jener untersucht, die unmittelbar vor diesem Ereignis stehen.
So eine Studie habt ihr im letzten Jahr dann umgesetzt.
Genau, 2021 wurde erstmals die Durchführung einer Befragung unter Maturierenden durch das Wissenschaftsministerium ausgeschrieben. Wir haben dann den Zuschlag erhalten und ich habe das Projekt geleitet. Schwerpunkt waren die Pläne der Maturierenden, welche Schwierigkeiten tauchen im Entscheidungsfindungsprozess auf, wie fühlen sie sich beraten und unterstützt und was sind entscheidende Einflussfaktoren auf die unterschiedlichen Pläne. Dabei wurde auch die Rolle des sozialen Umfelds im Entscheidungsfindungsprozess näher in den Blick genommen.
Hat es dabei überraschende Erkenntnisse gegeben?
Die „klassischen“ Einflussfaktoren haben sich bestätigt. Die Wahrscheinlichkeit einer Studienaufnahme liegt unter Maturierenden aus akademischem Haushalten, Frauen oder Maturierenden mit Migrationshintergrund höher. Eine wichtige Rolle spielt auch die besuchte Schulform, weil berufsbildende höhere Schulen ja generell auch eine berufliche Erstausbildung zur Aufgabe haben und daher BHS-Maturierende insgesamt betrachtet häufiger einen direkten Arbeitsmarkteinstieg planen. Aber auch hier gibt es Ausnahmen, zum Beispiel planen BHS-Maturierende in Wien auffallend häufig eine Studienaufnahme. Das heißt, es sind unterschiedliche Faktoren ausschlagegebend, auch regionale Charakteristika. Deshalb haben wir auch multivariate Analysen zur simultanen Berücksichtigung unterschiedlicher Einflussfaktoren durchgeführt. Ein wichtiges Thema für uns war auch der Einfluss des sozialen Umfelds, zum Beispiel die Unterstützung und Beeinflussung durch Familie und Freunde bei der Entscheidungswahl. Wie stark etwa die jeweilige Peer-Group zu einem Studium tendiert, hat Einfluss darauf, ob ein Studium begonnen wird oder nicht. Zum Teil erwartbar, aber dennoch überraschend durch den großen Unterschied war, dass die Einschätzung der eigenen Erfolgswahrscheinlichkeit einen viel größeren Effekt darauf hat, ob ein Studium aufgenommen wird oder nicht – als die tatsächlichen Noten. Überraschend war zudem, dass die beruflichen Ziele „möglichst viel Geld verdienen“ und „einen sicheren Job haben“ – als ertragsbezogene Motive – einen positiven Effekt auf den direkten Arbeitsmarkteinstieg aber nicht für eine Studienaufnahme darstellten.
Welche Schlüsse ziehst du aus der Studie?
Österreich ist ein Land, in dem sich das Bildungswesen relativ früh ausdifferenziert, sodass sich soziale Bildungsungleichheiten schon früh manifestieren. Aber wie wir feststellen konnten, wird auch an der Schwelle Sekundarstufe II die Entscheidung, ob ein Studium aufgenommen wird oder nicht, noch maßgeblich von Faktoren der sozialen Herkunft beeinflusst. Zudem bestehen unter den Maturierenden viele Unsicherheiten, was zum Teil damit zusammenhängt, dass der Übergang immer komplexer wird. Allein an Hochschulen gibt es immer mehr Studiengänge, und es ist sehr schwierig herauszufinden, welche Unterschiede es zwischen diesen gibt. Viele Entscheidungen werden daher getroffen, ohne dass sich die Maturierenden darüber ausreichend informiert fühlen. Die Risiken, die sich daraus ergeben, verursachen Kosten auf mehreren Ebenen und haben auch gesellschaftliche Relevanz.
Welche Themen stehen bei dir in Zukunft an?
Wir arbeiten aktuell an einer wissenschaftlichen Publikation auf Basis der Maturierendenbefragung, wo wir noch näher die Rolle des sozialen Umfelds auf den Entscheidungsfindungsprozess untersuchen. Im Zuge dessen sind wir auch auf einer wissenschaftlichen Konferenz vertreten, bei der wir das Thema präsentieren werden. Zudem haben uns unterschiedliche Akteur:innen, sowohl schul- als auch hochschulseitig, gebeten, die Ergebnisse nochmal gesondert zu präsentieren, mit ihnen zu diskutieren und mögliche Hebel zu erarbeiten. Gleichzeitig ist ein zweiter Schwerpunkt von mir seit einigen Jahren der Bereich MINT im Bildungswesen, insbesondere wie man die Zahl der Studienanfänger:innen erhöhen und die Dropout-Quote senken kann und wie man mehr Frauen und Mädchen für MINT-Fächer gewinnen kann. Hier leite ich aktuell eine Studie, bei der wir uns auf unterschiedliche Datenquellen beziehen, die den gesamten Prozess vom Übertritt in die Hochschule bis in den Arbeitsmarkt abbildet.
Danke für das Gespräch!
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