Bildungsarmut - Ein unterschätztes Problem

Die Bekämpfung von Bildungsarmut ist eines der Ziele, das in der Strategie Europa 2020 erreicht werden soll. In Österreich zeigt sich das Problem beim näheren Hinsehen größer als gedacht.

Autor: Mario Steiner


Von Bildungsarmut betroffen sind der Definition nach zwei Gruppen. Auf der einen Seite sind das Jugendliche im Alter zwischen 15-24 Jahren, die sich nicht in Ausbildung befinden und keinen Abschluss haben, der über die Pflichtschule hinausgeht (zertifikatsbasierte Definition). Andererseits sind damit 15 bis 16 Jährige gemeint, die von sogenannter Kompetenzarmut betroffen sind - die also z.B. nicht sinnerfassend lesen können oder die Grundrechenarten nicht beherrschen. Diese Kompetenzarmut wird seit dem Jahr 2000 vom „Programme for International Student Assessment“ (PISA) im Dreijahrestakt erhoben. Die PISA Erhebungen weisen für Österreich einen stabilen Anteil von etwa einem Fünftel der  SchülerInnen aus,  die von Kompetenzarmut betroffen sind. Das Problem ist dabei stark ungleich verteilt - MigrantInnen oder Jugendliche mit unvorteilhafter sozioökonomischer Herkunft haben ein höheres Risiko.

Um die Dimension der zertifikatsbasierten Bildungsarmut (also das Fehlen eines Bildungsabschlusses auf der Sekundarstufe II, etwa einer Lehre oder einer BMS) beziffern zu können, wird der Indikator des frühen Bildungsabbruches (ESL) verwendet. Hier steht Österreich mit einem Anteil von 7 Prozent zunächst relativ gut da. Europaweit soll der Anteil bis 2020 auf unter 10 Prozent gesenkt werden, was aller Voraussicht nach auch erreicht werden wird. Die nationale Strategie  zur Verhinderung des frühen Bildungsabbruches  baut ebenso auf dieser (vermeintlich) vorteilhaften Ausgangslage auf. Bei genauerem Hinsehen wird allerdings deutlich, dass viel größerer Handlungsbedarf gegeben ist.

Mikrozensus vs. Vollerhebung

Die 7 Prozent die für Österreich ausgewiesen werden, sind das Resultat des Mikrozensus, der von der Statistik Austria quartalsweise erhoben wird. Die Erhebung stützt sich auf Befragungen, ihre Genauigkeit ist also von der Qualität der Antworten abhängig. Demgegenüber lässt sich das Phänomen des frühen Bildungsabbruches auch durch die Verwendung von Verwaltungsdaten analysieren, die die gesamte Bevölkerung erfassen. Zieht man diese Datenbasis heran, erscheint das Problem größer als ursprünglich gedacht, der Anteil der frühen BildungsabbrecherInnen (FABA) liegt dann bei etwa 13 Prozent.

Die Verwendung von Verwaltungsdaten hat einen weiteren Vorteil - es lassen sich  Differenzierungen bei der Analyse vornehmen, die bei Befragungsdaten aufgrund der Stichprobengröße nicht so einfach möglich sind. Analysiert man den FABA-Anteil etwa auf Bezirksebene, erhält man eine Bandbreite von nur ca. 5 Prozent in Zwettl und etwa 25 Prozent in Wien Favoriten. Differenziert man dann noch weiter nach dem Migrationshintergrund, sieht man in einigen Bezirken Werte für Jugendliche, die in einem Drittstaat geboren worden sind, um die 60 Prozent und höher. Bei so hohen Werten  muss die Frage der sozialen Ausgrenzung einer ganzen Bevölkerungsgruppe aufgeworfen werden. Interessant sind auch die unterschiedlichen Verteilungen nach Stadt und Land. Während die insgesamt niedrigen Anteile von BildungsabbrecherInnen auf dem Land, die hohen in der Stadt zu finden sind, verhält es sich genau umgekehrt, wenn zusätzlich der Migrationshintergrund betrachtet wird. In einem Drittstaat geborene MigrantInnen, die auf dem Land leben, haben also ein weit höheres Risiko auf frühen Bildungsabbruch als in der Stadt

Im zweiten Teil des Artikels geht es um Ursachen und Lösungsansätze

Weiterführende Literatur

Steiner, Mario (2019) Bildungsarmut Jugendlicher - Ein in Österreich unterschätzter Problembereich. In: Niederer, Elisabeth and Jäger, Norbert, (eds.)Bildungsbenachteiligung: Positionen, Kontexte und Perspektiven. Klagenfurter Beiträge zur Bildungsforschung und Entwicklung (2). Innsbruck: Studienverlag, pp. 78-89.