Mobilität als Gemeingut

Eine neue Perspektive auf Raum und Bewegung

Autorin: Anna Gerhardus

Mobilität als Gemeingut zu verstehen, soll eine alternative Perspektive auf die Verwaltung und Entwicklung von Mobilität für Innovation, Politik und die Gesellschaft aufzeigen. Entwicklungen in diesem Bereich — von Zu-Fuß-Gehen bis hin zur Datenmobilität und Logistik — sollen sich daran orientieren, fairen Zugang zu gewähren und einen Mehrwert für die Gesellschaft darstellen.


Woher kommen Gemeingüter?

Gemeingüter sind eine Art, wie der öffentliche Raum oder Ressourcen gemeinsam genutzt und erhalten werden können. Historische Beispiele dafür sind gemeinschaftliche genutzte Wiesen- und Ackerflächen oder aber auch die hohe See: Für Fischer*innen ist es wichtig, dass sie ausreichend Zugang zu Fisch haben, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, gleichzeitig müssen sie beachten, diese Ressource nicht auszuschöpfen und den Fischbestand deshalb genau beobachten und erhalten. Kritiker*innen dieser Perspektive haben die Gemeingüter als unreguliert und dem Egoismus von Einzelnen ausgesetzt beschrieben, wodurch diese schnell ausgeschöpft wären. In der „Tragik der Allmende“ von dem Ökologen Garret Hardin im Jahr 1968 wird im Kontext des Problems der Überbevölkerung beschrieben, dass rein technische Lösungen nicht ausreichen, um komplexe Probleme zu lösen, und es Gemeingüter nur unter bestimmten Regeln geben kann. Die Nobelpreisträgerin von 2009 für Ökonomie, Elinor Ostrom, hebt in ihrem Werk „Governing the Commons“ besonders hervor, dass Gemeingüter geschützt und reglementiert sein müssen, um von allen für alle genutzt und erhalten werden zu können.

Aktuelle Anwendungen von Gemeingütern sind urbane Regionen oder digitale Ressourcen. Ein prominentes Beispiel sind die Creative Commons, die eine Möglichkeit darstellen Nutzungsrechte von Bildern, Texten und Code, der Allgemeinheit zugänglich zu machen, ohne Gefahr zu laufen, dass das eigene Werk von anderen vereinnahmt wird (siehe auch Bilder dieses Blogposts). 

Wie kann das in der Mobilität verwendet werden?

Bei einem Verständnis von Mobilität als Wettbewerb sind Entwicklungen und Planung von Mobilität Konkurrenz und Profitdenken ausgesetzt und bringen Lösungen hervor, die nur einen bestimmten Teil der Bevölkerung betreffen, wenn dies zum Beispiel am profitabelsten ist. Beim Aufkommen neuer Mobilitätsformen, die nachhaltige Mobilität versprechen, ist oft ein Zentrum-Peripherie und Einkommensgefälle bei der Verfügbarkeit und Nutzung zu beobachten. Soziale Bedürfnisse und Herausforderungen, in Bezug auf Nachhaltigkeit werden ausgeklammert, weil diese Aspekte nicht Teil des ökonomischen Wertesystem sind, wird es als unnötiger Mehraufwand wahrgenommen.

Im Gegensatz dazu ist der Gedanke Mobilität als Gemeingut zu verstehen. Durch Zusammenarbeit sollen soziale, technische und ökologische Herausforderungen, so gelöst werden, dass es für die Beteiligten und die Gesellschaft als Ganzes Vorteile bringt. Erste Ansätze in diese Richtung werden bereits getestet: Ein Beispiel ist die App „Ring-Ring“, die in einem Amsterdamer Bezirk eingesetzt wird (siehe auch Nikolaeva et al. 2019), um Fahrradfahren zu fördern und Unternehmen zu unterstützen. Es werden gefahrene Kilometer erfasst und bei einer bestimmten Anzahl an Kilometern erhält man Gutscheine für lokale Geschäfte. Anders als in klassischen Nudging-Ansätzen profitieren nicht nur Nutzer*innen, sondern auch kleine Geschäfte.

Gemeingut als neuer Weg, um Mobilität fairer und nachhaltiger zu gestalten

Mobilität als Gemeingut soll also die Vorstellung eines reinen Wettbewerbsszenario ablösen und dadurch neue Formen von Kollaboration von Unternehmen mit weiteren AkteurInnen fördern. Es soll an Mobilitätsformen gearbeitet werden, die für die gesamte Gesellschaft entwickelt sind und sich an unterschiedlichen Lebensumständen orientiert. Das beinhaltet, dass Mobilität als Grundrecht für alle Bürger*innen zugänglich und leistbar ist und dass bei menschlichen Bedürfnissen bei der Planung und Umsetzung angesetzt werden soll.


Notiz der Autorin:

Dieser Artikel wurde im Rahmen der Beteiligung am Netzwerk „Community Creates Mobility“ (CCM) und deren Blog https://zusammenbewegen.at/ verfasst. Ich selbst bin im Zuge des H2020 Projektes RiConfigure seit Februar 2020 Teil des Orchestrator*innen-Teams, das sowohl inhaltliche als auch organisatorische Aufgaben übernimmt. Gemeinsam mit den Mitgliedern von CCM wurde in einem offenen und kollaborativen Prozess das Mobility Manifest erstellt. In diesem Dokument konnten alle Mitglieder der CCM Aspekte, die für die Mobilität der Zukunft relevant sind, einfließen lassen. Die zentrale These dieses Manifestes ist, dass es eine neue Art braucht, wie über Mobilität gedacht wird, nämlich als Gemeingut.

Fragen:

  • Welche Ideen oder Projekte existieren bereits, um ein Mobilitätssystem für alle zu schaffen, die den Gedanken des Gemeinguts in sich tragen?
  • Was können wir von anderen Gemeingütern lernen? (z.B. Creative Commons)
  • Welche Möglichkeiten können sich durch diese Perspektive für Innovationen ergeben?

Mehr zum Thema:

https://www.nzz.ch/international/schwerpunkt-allgemeingut-die-wahre-tragik-der-allmende-ld.1296135

https://commons.blog/