Nachbetrachtung: Leben mit Corona

Autor: Thomas König

Das Symposium „Leben mit Corona“ Anfang Juli hat aktuelle sozialwissenschaftliche Forschung zur Pandemie in verschiedenen Lebensbereichen aufgezeigt. In diesem Blogbeitrag reflektiert Thomas König, wie es zu dem Symposium kam und was wir davon mitnehmen können.


Als im März 2020 klar wurde, dass COVID-19 ohne einschneidende Maßnahmen das öffentliche Gesundheitswesen auch in Österreich unter Druck stellen würde, hat sich unser Leben massiv verändert. So unvorstellbar das Zurückfahren des Wirtschaftstreibens, die Schulschließungen, die zeitweise Ausgangsbeschränkungen und Reisewarnungen davor noch waren, so sehr ist all das nun zu unserer Realität geworden.

Diese Änderungen zu beobachten, zu beschreiben und zu analysieren, war ein Anliegen, das viele Sozialwissenschafter*innen in Österreich hatten (und haben). An den verschiedensten Stellen wurden Projekte aufgesetzt, Forschungsvorhaben formuliert. Das wiederum hat mein Interesse geweckt: Schon länger beschäftigen mich zwei miteinander verwandte Fragen, nämlich wie Sozialwissenschaften besser in die Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen eingebunden werden können und wie die Vermittlung von Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung aufgesetzt werden soll. Um die Vielzahl an Projekten, die nun angeworfen wurden, überblicken zu können, habe ich ein simples Googe-Spreadsheet angelegt – dieses ist inzwischen auf weit über einhundert Zeilen angewachsen. Die Liste ist ein beeindruckendes Testament dafür, wie die (im weitesten Sinne sozialwissenschaftliche) Community in Österreich dieses Ereignis (oder „Krise“) versteht.

Die Liste führte zur naheliegenden Frage, wie man den so gewonnenen Überblick für die Diskussion zwischen den Forschenden nutzen kann. Denn die in vielerlei Facetten behandelten Fragen waren immer dieselben: Wie gehen wir mit der Krise um? Welche Herausforderungen stellen sich, welche Anpassungen finden statt, welche neuen Konflikte entstehen (und welche alten Konflikte stellen sich auf veränderte Weise)? Als geeignetes Format kristallisierte sich eine öffentliche Veranstaltung heraus, ein Symposium mit dem Titel „Leben mit Corona“. Dazu haben wir sozialwissenschaftlichen Fachorganisationen (Psychologie, Ökonomie, Politikwissenschaft, Soziologie, Wissenschaftsforschung) eingeladen, als Kooperationspartner*innen aufzutreten und damit zu verdeutlichen, dass dieses Symposium für die Breite der Sozialwissenschaften in Österreich spricht.

Ziele und Ergebnisse

Programmatisch war das Symposium also gedacht als ein interdisziplinäres und interaktives Forum, um vor allem die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu besprechen. Ihre virologisch-epidemiologischen Ursachen standen also nicht im Fokus. Die mikrobiologische Forschung hat in der kurzen Zeit, seitdem das Virus bekannt ist, zweifellos Enormes vorangebracht. Dennoch wissen wir bislang über die Wirkungsweisen von SARS-CoV-2 im menschlichen Wirtskörper und den Vorgang der Infektion noch recht wenig. Paradoxerweise ist gerade das der Grund, warum es noch keine entsprechenden Gegenmaßnahmen in Form einer Impfung gibt, und daher die massiven Maßnahmen notwendig, die Auswirkungen auf die Gesellschaft so enorm, die Verunsicherungen so groß sind.

Das Symposium wollte die wichtigsten Forschungsergebnisse, die aus den angeführten Projekten bis dato erzielt worden waren, zusammentragen und zur Diskussion zu stellen. Aus naheliegenden Gründen stand Österreich dabei im Mittelpunkt. Ziel war es, den interdisziplinären Austausch zu stimulieren und den Sozialwissenschaften (breit verstanden, also auch etwa unter Einbeziehung von Wirtschaftswissenschaft und Psychologie) ein gemeinsames Forum zu geben. Das Zielpublikum war einerseits die Wissenschaftscommunity, aber auch – und darauf spielte der Hinweis „interaktiv“ in der Beschreibung an – Entscheidungsträger*innen, Vertreter*innen der Zivilgesellschaft und der Medien.

Dass das Symposium ein Erfolg war, kann man am Zuspruch und der Unterstützung ermessen, die es erhielt. In sechs Sessions wurde zu Arbeitsmarkt, Gesundheitssystem, Alltag und öffentliches Leben, Wirtschaft, Bildung und Schule sowie Wissenschaft und Öffentlichkeit berichtet und diskutiert. Jede Session wurde von einer längeren Keynote eingeleitet, in der es um den Problemaufriss zum konkreten Thema ging; danach wurden drei bis vier konkrete Projektergebnisse präsentiert und im Anschluss gab es viel Zeit für Diskussion. Wer sich eingehender für die Sessions interessiert, möge die schriftlichen Zusammenfassungen und die Aufzeichnungen konsultieren, die auf der Website verlinkt sind.

Was wir gelernt haben

Corona hatte auf die Veranstaltung natürlich auch insofern Auswirkungen, als es organisatorische Restriktionen und Modifikationen erforderlich machte. So fand das Symposium als „Hybrid“-Veranstaltung statt, mit einer (streng beschränkten) Teilnahme vor Ort und einem Live-Streaming im Internet. Insbesondere der Umstand, dass zum ersten Mal seit Langem wieder ein (beschränktes) Zusammentreffen vor Ort möglich war, wurde von vielen Teilnehmer*innen als positiv gesehen. Auch insofern fand das Symposium also zum richtigen Zeitpunkt statt. Der Hörsaal war in jeder Session voll (die Kapazität war freilich auf genau 40 Personen eingeschränkt) und zusätzlich nahmen online zwischen 40 und 70 Personen je Session teil, was nochmals das große Interesse unterstreicht.

Die hybride Form der Abhaltung hat also gut funktioniert, bedeutete viel Vorbereitung, um die Sicherheitsmaßnahmen zu implementieren und zu kommunizieren – nichts wäre blöder als wenn auf einer Veranstaltung zu Corona ein Corona-Cluster entsteht. Allerdings: ein geschlossener Raum bleibt bei allen Sicherheits- und Distanzierungsmaßnahmen trotzdem noch ein problematisches Setting für eine Atemwegserkrankung, und man muss sich auch in Zukunft sehr genau überlegen, welche Veranstaltung eine (Teil-)Präsenz der Teilnehmer*innen rechtfertigt.

Als Beobachtung zum Inhaltlichen möchte ich drei wesentliche Punkte festhalten. Erstens war das Interesse und die Beteiligung auch von Seiten der Behörden, staatlichen Einrichtungen und Vertreter*innen der Zivilgesellschaft groß. Zweitens war Interdisziplinarität – ein oft gehegter Wunsch, der meist nur sehr schwierig umzusetzen ist – zumindest insofern realisiert, als in jeder Session Vertreter*innen mehrerer Disziplinen in Diskussion traten. Und drittens war es augenscheinlich, dass es allen Beteiligten ein ernsthaftes Anliegen war, diese Gelegenheit zum Lernen und zur Reflexion zu verwenden.

Resümierend lässt sich sagen, dass diese Art der Veranstaltung wahnsinnig gut geeignet ist für die Vermittlung und eine eingeschränkte Interaktion. Was freilich besser funktionieren hätte können, war der Teil, den wir als „Co-Creation“ am Ende jeder Session vorhatten: die Erwartung war, dass hier eine Diskussion über weiterführende Forschungsfragen und gegebenenfalls auch neuen Forschungsprojekten entstehen könnte. Dafür war – paradoxerweise – zu wenig Zeit, denn der Bedarf zur Diskussion – zum Nachfragen – war größer als gedacht.

Wie geht es weiter?

Zusammenfassend seit mir an dieser Stelle eine generelle Feststellung erlaubt: Das Symposium wurde schnell und effizient und unter Einbindung vieler Organisationen vorbereitet, es bildete die Breite der sozialwissenschaftlichen Forschung ab, zugleich blieb es nicht an der Oberfläche, sondern erlaubte in jeder thematischen Session eine eingehende Erörterung und Auseinandersetzung des jeweiligen Themas. Dass so etwas geht – und dass es gebraucht wird – ist der deutliche Beleg für den Mehrwert, den ein interdisziplinäres, sozialwissenschaftliches Institut wie das IHS leisten kann.

Wir planen einen Bericht zum Thema, und werden im Herbst auch wieder die eine oder andere Veranstaltung zu einem spezifischen Thema im Kontext der umfassenden Corona-Pandemie machen. Es ist ja leider so, dass uns diese Bedrohung bis auf Weiteres nicht aus dem Griff lassen wird, und dass uns daher auch die Folgen, die mit ihrer Eindämmung einhergehen, weiterhin beschäftigen werden. Viel bleibt zu tun für die Sozialwissenschaften und fürs IHS.