Nachhaltiges Finanzwissen
Was sollten wir wissen und was wissen wir schon?
Autor:innen: Stefan Derntl, Zoë Großbötzl and Marcel Seifert
ESG, EU-Taxonomie, UZ 49 … Die Begrifflichkeiten rund um nachhaltiges Investieren sind nicht gerade intuitiv und wohl kaum allumfassend bekannt. Finanzmärkte spielen in unserem Wirtschaftssystem eine entscheidende Rolle bei der Lenkung von Ressourcen und Kapital. Um Erderhitzung und Klimakrise nicht noch weiter voranzutreiben, muss besonders bei Investitionen in den Finanzmarkt ein spezielles Augenmerk auf die ökologische Nachhaltigkeit gelegt werden.
Nachhaltiges Finanzwissen wird dabei zu einem Schlüsselfaktor, um diese Lenkung in Richtung umweltfreundlicher und sozialer Investments voranzutreiben. Das Wissen rund um die Begrifflichkeiten ist dabei das Fundament, um sich in der ohnehin schon komplexen und weiterhin wachsenden Welt vermeintlich grüner Finanzprodukte zurechtzufinden. Was aber gibt es zu wissen, welchen Siegeln kann vertraut werden und was bedeutet eigentlich ESG? In diesem Blogartikel sollen diese und weitere Fragen beantwortet werden. Zudem wird aufgezeigt, wie es in Österreich um nachhaltiges Finanzwissen steht. Zum Abschluss wird ein Selbsttest zur persönlichen Einordnung vorgestellt, bei dem Sie herausfinden können, wie es um Ihr nachhaltiges Finanzwissen steht. Der Kampf gegen die Klimakrise kann, zusätzlich zu politischen Maßnahmen, auch durch ein bewusstes Umdenken in der Art und Weise, wie wir unser Geld anlegen, vorangetrieben werden.
Warum ist nachhaltiges Finanzwissen wichtig?
Geld weg von fossilen und umweltschädlichen hin zu nachhaltigen wirtschaftlichen Aktivitäten zu investieren, ist ein zentraler Baustein im Kampf gegen die Klimakrise. Dies gilt auch für private Finanzströme – für die Europäische Union ist das im Rahmen des Green Deals ein wesentlicher Schritt zum ausgewiesenen Ziel, im Jahr 2050 netto keine Treibhausgase mehr zu emittieren (Europäische Kommission, 2020). Auch das Interesse seitens der Bürger:innen an nachhaltigen Geldanlagen steigt. Mehr und mehr Menschen wollen ihr Geld nachhaltig anlegen, wobei die Handlungshintergründe unterschiedlich sind: Manche wollen etwas Gutes für die Umwelt tun, andere hoffen, mit dem Trend selbst Geld zu verdienen. Seit 2022 sind Finanzinstitute außerdem durch eine Verordnung der Europäischen Kommission dazu verpflichtet, die Nachhaltigkeitspräferenzen der Kund:innen zu erfragen und diese bei der Anlageberatung zu berücksichtigen. Dazu gehört auch, ihre Kund:innen aktiv über die Verfügbarkeit von ESG-Investitionen (dazu später mehr) zu informieren (Klein et al., 2022).
Obwohl der Trend hin zu nachhaltigen Investments also auf verschiedenen Ebenen bereits vorhanden ist, weist die wissenschaftliche Literatur darauf hin, dass sowohl ein unzureichendes Angebot an nachhaltigen Anlagemöglichkeiten als auch mangelndes Wissen darüber die Entwicklung in diesem Bereich bremsen könnten (Breitenfellner & Kariem, 2023; Filippini et al., 2023; Gutsche & Zwergel, 2020; Seifert et al., 2022; Wins & Zwergel, 2016). Zudem können Fehlwahrnehmungen in Bezug auf nachhaltige Investitionen dazu beitragen, dass weniger Geld in diese Produkte investiert wird (Meunier & Ohadi, 2022). Da Klimakrise und Erderhitzung jedoch schnelles Handeln erfordern, ist die Vermittlung dieses Wissens ein besonders wichtiger Aspekt von Finanzbildungsinitiativen.
Wie verstehe und erkenne ich grüne Finanzprodukte?
Nachfolgend werden die Grundbegriffe, die auch diesen Artikel eingeleitet haben, erläutert und anschließend die manchmal nicht so leicht identifizierbare Praktik des Greenwashings angeschnitten.
Die Abkürzung ESG steht für Environmental, Social und Governance, oder zu Deutsch Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Es ist ein zentraler Begriff der Nachhaltigkeitsbewertung[1], stellt aber weniger ein konkretes Regelwerk als einen Sammelbegriff für Investitionsstrategien dar, die verschiedene Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungsfragen berücksichtigen. Ursprünglich wurde ESG mit wertebasierten Ausschlüssen[2] in Verbindung gebracht und häufig mit Socially Responsible Investing (SRI, zu Deutsch: werteorientiertes oder ethisches Investment) gleichgesetzt. Infolge einer zunehmenden Sensibilisierung für globale Umwelt- und Sozialfragen entwickelte sich später ein holistischeres Verständnis von ESG. Um langfristige Anlagerisiken besser zu verstehen und Investitions- sowie institutionelle Ziele zu erreichen, integrieren Investoren häufig eine Palette von verschiedenen ESG-Ansätzen in ihre Entscheidungen.[3]
Die EU-Taxonomie ist ein Klassifikationssystem, das die Beurteilung der ökologischen Nachhaltigkeit einer wirtschaftlichen Tätigkeit ermöglichen soll und wird als zentrales Element des EU-Aktionsplans für nachhaltige Finanzen gesehen. Eine taxonomiekonforme Wirtschaftstätigkeit muss demnach einen wesentlichen Beitrag in einem der sechs vordefinierten Umweltbereiche[4] leisten, ohne dabei einen anderen wesentlich zu behindern (Prinzip des „Do No Significant Harm – DNSH“), während soziale Mindeststandards eingehalten werden müssen.[5] Die EU-Taxonomie ist kein Umweltzeichen für grüne Finanzprodukte oder Unternehmen, denn sie klassifiziert zum einen keine Unternehmen sondern Wirtschaftstätigkeiten und stellt zum anderen auch keinen unmittelbaren Zusammenhang zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Finanzprodukten her. Sie legt keine zwingende Verpflichtung zur Investition in grüne Finanzprodukte fest, sondern verlangt die Transparenz von für die taxonomische Bewertung relevanten Informationen. Umweltzeichen können auf das Klassifikationssystem der Taxonomie zurückgreifen, wie das beispielsweise das EU-Ecolabel für grüne Finanzprodukte in Zukunft tun soll. [6]
UZ 49 meint das Österreichische Umweltzeichen, ein Zertifikat (Label) für nachhaltige Finanzprodukte. Für die Zertifizierung gibt es klare Richtlinien, die unter der Einbeziehung von Umwelt- und Fachexperten entwickelt wurden und alle vier Jahre überarbeitet werden. Dabei kommt der Lebenszyklus-Ansatz zur Anwendung, der die Umweltauswirkungen während des Gebrauchs, der Herstellung und Entsorgung berücksichtigt.[7] Es gibt zudem Ausschlusskriterien, wie beispielsweise Atomkraft, Rüstung und fossile Energien, durch die sich Produkte bzw. Dienstleistungen für das Umweltzeichen disqualifizieren.[8] Auch Finanzprodukte, wie unter anderem Fonds, Spar- und Giroprodukte, können mit dem Österreichischen Umweltzeichen ausgezeichnet werden, wenn sie nach den ökologischen und ethisch-sozialen Richtlinien agieren[9]. Eine Ergänzung zum UZ49 ist das FNG-Siegel vom Forum Nachhaltige Geldanlangen.[10]
Nun da Sie einige Grundbegriffe rund um nachhaltige Investitionen kennen, können Sie erste Anzeichen von Greenwashing, also die falsche Darstellung bzw. Vermarktung eines Finanzproduktes als nachhaltig obwohl es das gar nicht ist, bereits erkennen. Die irreführenden Praktiken von Unternehmen reichen von der bewussten Verwendung von grünen Farben und Symbolen bis zum Gebrauch ungeschützter Begriffe wie "ökologisch" oder "umweltfreundlich".[11] So wollen sie für sich ein positives Umweltimage schaffen, ohne dabei substanzielle Maßnahmen für Umweltschutz oder Nachhaltigkeit umzusetzen, während fehlende Transparenz ein Nachprüfen der Nachhaltigkeitsstrategie erschwert. Das bereits erwähnte Umweltzeichen oder andere Siegel können helfen, Greenwashing auszuschließen. Das BMK[12] empfiehlt außerdem sich online zu informieren, für Fonds (z.B. Aktienfonds oder ETFs) beispielsweise auf der unabhängigen Bewertungsplattform Cleanvest.[13]
Nachhaltiges Finanzwissen in Österreich
Wie sieht es nun in Österreich aus? Verfügen die Österreicher:innen über ausreichend Wissen, um nachhaltige Finanzentscheidungen zu treffen? Um diese und weitere Fragen zu beantworten, wurde 1 047 Personen ein kurzes Messinstrument zu nachhaltigem Finanzwissen vorgelegt (Gangl et al., 2023). Die für Geschlecht und Alter repräsentative Online-Umfrage umfasste Themenbereiche wie Grundbegriffe, die Regulierung durch Labels und Klassifikationen, Greenwashing, nachhaltige Anlagestrategien, finanzielle Performance, Einfluss und Arten grüner Finanzprodukte. In der Umfrage wurden außerdem Faktoren abgefragt und anschließend analysiert, die mit nachhaltigem Finanzwissen in Verbindung stehen. Personen mit grundlegendem und fortgeschrittenem Finanzwissen, höherem Einkommen, beruflicher Erfahrung mit Investitionen und der Überzeugung, dass nachhaltiges Investieren einfach sei, konnten häufiger korrekte Antworten geben. Ebenso wiesen ein nachhaltiger Lebensstil und umfassendes Wissen zu Nachhaltigkeitsthemen eine positive Verbindung zu nachhaltigem Finanzwissen auf. Im Gegensatz dazu gab es keine feststellbaren Zusammenhänge zwischen nachhaltigem Finanzwissen und Faktoren wie Geschlecht, Alter, Bildung, ökonomischer Ausbildung, Börsenerfahrung oder der Anerkennung des Klimawandels als ernsthaftes Problem.
Im Durchschnitt konnten die Befragten die Hälfte der Finanzwissensfragen korrekt beantworten. Am besten wussten die Teilnehmer:innen dabei über Greenwashing Bescheid: 69 Prozent konnten die korrekte Definition von Greenwashing erkennen. Hingegen wussten nur 26 Prozent, dass Gewinne bei ESG-Finanzprodukten nicht deutlich geringer ausfallen als bei konventionellen Alternativen. Durchschnittlich gaben je 19 Prozent an, die Antwort nicht zu wissen. Beim Thema EU-Taxonomie herrschte besonders viel Unklarheit, 28 Prozent gaben bei der Frage zur Definition der EU-Taxonomie an, nicht zu wissen, was das ist.
Bei nachhaltigem Finanzwissen in Österreich gibt es also noch Luft nach oben. Die Daten der Befragung zeichnen ein gemischtes Bild des Wissenstands je nach Themen und Personengruppen. Um aber die Klimakrise nicht weiter zu verschärfen, ist es entscheidend, bei Investitionen am Finanzmarkt besonders auf die ökologische Nachhaltigkeit der getätigten Anlagen zu achten. Dazu benötigt es auch auf individueller Ebene eine solide Basis an Wissen zu nachhaltigen Finanzprodukten, um sich in der komplexen Welt der grünen Investments zurechtzufinden – es ist noch kein:e grüne:r Finanzexpert:in vom Himmel gefallen. Gesamtgesellschaftlich können spezifische Fortbildungsmaßnahmen zu grünem Finanzverhalten, beispielweise im Rahmen der nationalen Finanzbildungsstrategie[14], ein Weg sein, um das noch ausbaufähige Wissen in Österreich auf ein zukunftsträchtiges Level zu bringen.
Nun haben Sie die Gelegenheit, wie eingangs versprochen, Ihr eigenes nachhaltiges Finanzwissen abzutesten und zu erweitern. Nutzen Sie dazu das vom IHS gemeinsam mit Expert:innen entwickelte und aus 30 Fragen bestehende Quiz. Auch erfahrende Finanzprofis könnten dabei etwas Neues entdecken. Für eine intensivere Beschäftigung mit nachhaltigem Finanzenwissen, empfehlen wir außerdem einen Blick in unseren Policy Brief, in dem das Tool zur Messung näher vorgestellt wird. In der nachfolgenden Literaturliste finden Interessierte eine Zusammenschau wissenschaftlicher Erkenntnisse zu nachhaltigem Finanzwissen. Die Entwicklungen des Finanzmarkts haben große Auswirkungen auf unsere Welt. Bewusste Investitionsentscheidungen können einen bedeutenden Beitrag zu einer nachhaltigeren Entwicklung leisten, also setzen Sie Ihr nachhaltiges Finanzwissen aktiv für eine positive Veränderung ein.
[1] https://faktencheck-energiewende.at/wp-content/uploads/sites/4/FC_Finance_DRUCK_final.pdf
[2] Unternehmen oder Anlagen werden basierend auf bestimmten Werten oder ethischen Überzeugungen ausgeschlossen.
[3] https://thedocs.worldbank.org/en/doc/375981604591250621-0340022020/original/WorldBankESGGuide2020FINAL.11.5.2020.pdf
[4] Klimaschutz; Anpassung an den Klimawandel; Nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen; Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Abfallvermeidung und Recycling; Vermeidung und Verminderung von Umweltverschmutzung; Schutz gesunder Ökosysteme.
[5] https://faktencheck-energiewende.at/wp-content/uploads/sites/4/FC_Finance_DRUCK_final.pdf; https://www.gruenesgeld.at/the-big-picture-sustainable-finance-in-der-eu-2/
[6] https://www.bmk.gv.at/green-finance/finanzen/eu-strategie/eu-taxonomie-vo.html
[7] https://www.umweltzeichen.at/de/zertifizierung/richtlinien/
[8] https://www.bmk.gv.at/dam/jcr:1b1dcffb-3d9f-41eb-a8c1-03ef22fa1e51/Factsheet_Nachhaltiges-Kleinanleger_v6e2.pdf
[9] https://www.umweltzeichen.at/file/Richtlinie/UZ%2049/Long/UZ49%20Nachhaltige%20Finanzprodukte%202024.pdf
[11] https://www.gruenesgeld.at/nachhaltigkeitsguetesiegel/
[12] Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie
[13] https://www.bmk.gv.at/green-finance/bildung/privat.html
[14] https://www.bmf.gv.at/ministerium/nationale-finanzbildungsstrategie.html
Literatur
Breitenfellner, A., & Kariem, H. (2023). What do people in Austria think about green finance?. Financial Stability Report 46, 47–63. https://www.oenb.at/dam/jcr:314567c2-c4c9-4521-8153-bbb55150d159/05_FSR_40_Green_finance.pdf
Europäische Kommission (2020). Financing the green transition: The European Green Deal investment plan and just transition mechanism. [Press release]. https://ec.europa.eu/regional_policy/en/newsroom/news/2020/01/14-01-2020-financing-the-green-transition-the-european-green-deal-investment-plan-and-just-transition-mechanism
Filippini, M., Leippold, M., & Wekhof, T. (2023). Sustainable Finance Literacy and the Determinants of Sustainable Investing. http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.4404809
Gangl, K., Seifert, M., Spitzer, F., & Abstiens, K. (2023) Geld nachhaltig investieren: Was sollte man wissen und wie steht es um dieses Wissen in Österreich?. IHS Policy Brief 3. https://irihs.ihs.ac.at/id/eprint/6630
Gutsche, G., & Zwergel, B. (2020). Investment barriers and labeling schemes for socially responsible investments. Schmalenbach Business Review, 72(2), 111–157. https://doi.org/10.1007/s41464-020-00085-z
Klein, C., Zwergel, B., Eckert, J., & Dumrose, M. (2022). Regulatorische und systembedingte Barrieren im Bereich Nachhaltige Geldanlagen in der Anlageberatung im Retail Banking. Eine qualitative Analyse aus der Perspektive des Anlageberaters. Kassel. https://kobra.uni-kassel.de/themes/Mirage2/scripts/mozilla-pdf.js/web/viewer.html?file=/bitstream/handle/123456789/14028/KleinZwergelEckertDumroseNachhaltigeGeldanlagenForschungsbericht.pdf?sequence=3&isAllowed=y#pagemode=thumbs
Meunier, L., & Ohadi, S. (2022). Misconceptions about socially responsible investments. Journal of Cleaner Production, 373, 133868. https://doi.org/10.1016/j.jclepro.2022.133868
Seifert, M., Gangl, K., Spitzer, F., Haeckl, S., Gaudeul, A., Kirchler, E., & Palan, S. (2022). Financial Return and Environmental Impact Information Promotes ESG Investments: Evidence from a Large, Incentivized Online Experiment. http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.4294495
Wins, A., & Zwergel, B. (2016). Comparing those who do, might and will not invest in sustainable funds: a survey among German retail fund investors. Business Research, 9(1), 51–99. https://doi.org/10.1007/s40685-016-0031-x