Was uns am Energiesparen hindert– und wie wir es trotzdem schaffen können

Autoren: Michael Keinprecht und Marcel Seifert

Spätestens die aktuelle Energiekrise führt uns vor Augen: wir können nicht genauso weitermachen wie bisher. Aus verschiedenen Gründen wollen und müssen wir jetzt Energie sparen. Doch warum fällt uns das so schwer?


 

Energiesparen bedeutet, kleine und große Entscheidungen zu treffen. Auch mit dem besten Wissen und Gewissen sind diese Entscheidungen aber oft anfällig für sogenannte „Biases“. In diesem Blog-Beitrag möchten wir Ihnen zeigen, wie Sie mit dem Wissen über Entscheidungsbiases bessere Entscheidungen beim Energiesparen treffen können. Doch was ist ein Bias überhaupt?

Ein Bias ist eine systematische Verzerrung beim Wahrnehmen, Erinnern, Denken und Urteilen. Das bedeutet, in der Hektik des Alltags treffen wir Entscheidungen, die wir bei längerem Überlegen lieber anders getroffen hätten. Systematische Verzerrung deshalb, weil die Fehler nicht zufällig sind, sondern eine bestimmte Richtung aufweisen. Beispielsweise werden Risiken von den meisten Menschen in einem bestimmten Szenario eher überschätzt, in einem anderen eher unterschätzt.

Gegenwartspräferenz (Present Bias)

Ein klassisches Beispiel hierfür ist die Frage, ob Sie lieber heute 100 Euro haben wollen oder 110 Euro in einer Woche. Haben Sie das beantwortet? Nun überlegen Sie sich, ob Sie lieber 100 Euro in einem Jahr oder 110 Euro in einem Jahr und einer Woche haben wollen. Rein mathematisch müssen Sie bei beiden Fragestellungen die gleiche Wahl treffen. In verhaltenswissenschaftlichen Experimenten hat sich allerdings gezeigt, dass Menschen bei der ersten Fragestellung das Geld lieber sofort haben wollen und sie bei der zweiten lieber eine Woche länger warten. Das liegt an der Gegenwartspräferenz, im Englischen Present Bias genannt, und bezeichnet die Fokussierung auf das Hier und Jetzt und dadurch die Vernachlässigung der Zukunft. Damit spielt die Gegenwartspräferenz in unserem Alltag meist dann eine Rolle, wenn wir jetzt Kosten oder Aufwand spüren und erst später dafür belohnt werden (siehe auch Belohnungsaufschub), oder die sofortige Belohnung im Verhältnis zum späteren Aufwand überbewerten.

Was hat das jetzt mit Energiesparen zu tun?

Bezogen auf das Energiesparen trifft das besonders auf größere Investitionen zu, die jetzt sinnvoll wären, sich aber erst in einigen Jahren bezahlt machen. Zum Beispiel die thermische Sanierung von Gebäuden,  die Anschaffung eines Elektroautos oder die Installation einer Photovoltaik-Anlage. Hier werden meist die momentanen Ausgaben im Vergleich zu den zukünftigen Ersparnissen überbewertet. Es kann helfen, die konkreten, zukünftigen Einsparungen auszurechnen und sich vorzustellen, was man mit den Ersparnissen machen wird, um diese greifbarer zu machen. Das objektiviert die Kosten-Nutzen Wahrnehmung. Oder man arbeitet mit einer weiteren Erkenntnis der Verhaltensökonomie: der Verlustaversion. Menschen gewichten Verluste stärker als Gewinne. Denken Sie also nicht daran, wie viel Sie bei einer neuen PV-Anlage sparen würden, sondern daran wie viel Sie aktuell jährlich verlieren, wenn Sie diese nicht betreiben. Und wer sich die Kosten der Installation nicht leisten kann/will, kann seine Dachfläche auch ganz einfach vermieten, trägt damit zur Energiewende bei und wird dafür vergütet.[1]

Status-quo-Bias

In Österreich ist fast jeder Organspender, in Deutschland weniger als 20 %. Was steckt hinter dieser hohen Differenz? Grund hierfür ist die sogenannte Widerspruchslösung bei Organspenden. Solange man nicht widerspricht, ist man in Österreich Organspender/in, während man sich in Deutschland aktiv dafür entscheiden muss. Das demonstriert eindrücklich die Macht des „Status-quo-Bias“. Auch hier ist der Name Programm. Menschen mögen keine Veränderungen und halten am Status quo – dem Ist-Zustand – fest, auch wenn eine Veränderung wünschenswert für sie wäre oder keinen Nachteil bringen würde.

Warum ist das fürs Energiesparen relevant?

Beim Energiesparen betrifft dies viele kleinere, nützliche Anschaffungen, die wir nicht tätigen. Wassersparende Duschköpfe zum Beispiel verringern den Wasserverbrauch pro Minute um die Hälfte und führen bei einem durchschnittlichen Drei-Personen-Haushalt zu einer Ersparnis von 410 Euro pro Jahr, und das bei einfacher Installation und Preisen um die 20 Euro[2]. „Wassersparend“ klingt leider so, als würde man auf Komfort verzichten müssen, jedoch reichern diese Duschköpfe den Wasserstrahl mit Luft an und reduzieren so die Wassermenge, ohne die Strahlkraft zu verringern. Der erste Schritt, um dem Status-quo-Bias entgegenzuwirken, ist ihn zu erkennen. Danach hilft wieder die Verlustaversion. Denken Sie also nicht daran, wie viel Sie bei einem neuen Duschkopf sparen würden, sondern daran, wie viel Sie mit Ihrem alten Duschkopf jährlich verlieren. Oft kann es auch helfen, sich ein Szenario vorzustellen, in dem noch kein Status quo existiert. Wenn Sie ein Haus bauen, oder Ihr Bad renovieren, welchen Duschkopf würden Sie dann kaufen? Wenn es nicht Ihr aktueller Duschkopf ist, warum sollten Sie mit der Veränderung bis zur Renovierung warten?


Verantwortungsdiffusion

„Es wird schon jemand anderes was machen und helfen.“ Kommt Ihnen dieser Satz bekannt vor? In der Wissenschaft bezeichnet man dieses Phänomen als Verantwortungsdiffusion. Es geht zurück auf ein Experiment, in dem Teilnehmer:innen einen vermeintlich zufälligen Hilferuf miterleben. Je größer die Gruppe der Teilnehmer:innen, desto seltener und langsamer wird auf den Hilferuf reagiert. Eng verwandt mit Verantwortungsdiffusion sind auch der „Zuschauereffekt“, das „Freiwilligendilemma“ und die „Pluralistische Ignoranz“. Drastischstes und bestes Beispiel sind auch die unzulänglichen Maßnahmen gegen die Klimakrise – alle hoffen, dass jemand anderer tätig wird.

Wieder die Frage: Was hat das mit Energiesparen zu tun?

Neben privaten Haushalten haben auch größere Organisationen (Firmen, NGOs, Unis, Behörden, etc.) einen hohen Energieverbrauch. Während private Haushalte für 29 % des Stromverbrauches verantwortlich sind, benötigen öffentliche und private Dienstleister 19 % (siehe Grafik), und haben somit enormes Sparpotenzial. Entsprechend der Verantwortungsdiffusion fühlt sich auch in großen Organisationen selten jemand fürs Energiesparen zuständig. Erschwerend kommt hier noch hinzu, dass die Energiekosten nicht auf die eigene Rechnung gehen.

Was es hier braucht, um entgegenzuwirken ist offensichtlich, aber trotzdem nicht einfach zu erreichen: klare Verantwortung. Jede Organisation sollte in jeder Filiale (jedem Gebäude, jeder Organisationseinheit) eine verantwortliche Person fürs Energiesparen benennen und diese mit klaren Zielen und Ressourcen (Zeit, Geld, Durchgriffsrechte etc.) ausstatten. Diese Person verfügt im Idealfall über ein gewisses Know-how im Bereich und bekommt die Zeit und das Geld, um sich Maßnahmen zu überlegen, die auf Dauer dem Unternehmen sowie der Umwelt nutzen. Zielsetzungen sollten dabei (zeit-)spezifisch, messbar, verständlich und erreichbar formuliert werden. Dabei ist besonders auf das mögliche Konfliktpotenzial zwischen Bequemlichkeit und Effizienz der Mitarbeiter:innen (PC immer auf Standby) und dem Energiesparpotenzial zu achten (PC am Ende des Arbeitstages herunterfahren). Sollten zu wenige Mitarbeiter:innen freiwillig beim Energiesparen mitmachen, können Boni für erreichte Einsparungsziele ein hilfreicher Ansatz sein. Und natürlich wirken andere Biases, wie der Status-quo-Bias bei Unternehmen genauso und können damit auch zum Energiesparen genutzt werden, indem man standardmäßig eine weniger energieintensive Einstellung wählt. Ein Beispiel dafür wäre, die Standardeinstellung der Raumtemperatur um 1-2°C zu senken oder Technologien wie Zeitschaltuhren und Bewegungsmelder zu verwenden.

Fazit

Present Bias, Status-quo-Bias, Verantwortungsdiffusion: egal welcher Bias Ihnen beim Energiesparen im Weg steht – ihn zu erkennen, ist die halbe Miete. Gerade bei einmaligen Veränderungen lohnt es sich, einen Schritt zurückzugehen und in Ruhe alle Möglichkeiten durchzudenken. Und wenn Sie sich in einem oder mehreren Szenarien ertappt haben, dann wissen Sie jetzt was zu tun ist.

 

[1] https://www.dachgold.at/dachflaechenvermietung-fuer-photovoltaik/ oder
https://www.wirmietendeindach.com/

[2] Hier geht’s zum Wasserverbrauch beim Duschen (https://www.mein-klimaschutz.de/zu-hause/a/bad/wie-hoch-ist-der-wasserverbrauch-beim-duschen/#:~:text=Herk%C3%B6mmliche%20Duschk%C3%B6pfe%20verbrauchen%20etwa%2012,Minute%20aus%20%E2%80%93%20bei%20gleichem%20Komfort ) und hier zum Vergleich über Duschköpfe: https://www.computerbild.de/artikel/cb-Tests-Haus-Garten-Wassersparender-Duschkopf-Vergleich-Praxis-Test-33058719.html


Weiterführende Links

Sollten Sie sich intensiver mit dem Thema Energiesparen auseinandersetzen wollen, können wir Ihnen unseren Policy Brief sehr ans Herz legen. Außerdem hat unser Kollege Claus Ghesla gezeigt, wie einfach und sinnvoll ein Stromanbieterwechsel sein kann. Zum Tarifvergleich in nur 6 Klicks gehts hier. Und natürlich gibt es neben den erwähnten Maßnahmen noch eine Vielzahl an einmaligen und routinemäßigen Verbesserungen, die man durchführen kann, um die Umwelt und das Konto zu schonen. Da ist sicher für jeden was umsetzbar: https://www.mdr.de/brisant/ratgeber/strom-sparen-102.html

Quellen

Darley, J. M., & Latane, B. (1968). Bystander intervention in emergencies: Diffusion of responsibility. Journal of Personality and Social Psychology, 8(4, Pt.1), 377–383. https://doi.org/10.1037/h0025589

Guerin, B. (2011). Diffusion of Responsibility. In The Encyclopedia of Peace Psychology, D.J. Christie (Ed.). https://doi.org/10.1002/9780470672532.wbepp084

O'Donoghue, Ted, and Matthew Rabin. 2015. "Present Bias: Lessons Learned and to Be Learned." American Economic Review, 105 (5): 273-79.

Samuelson, W., Zeckhauser, R. Status quo bias in decision making. J Risk Uncertainty 1, 7–59 (1988). https://doi.org/10.1007/BF00055564